Irreversible Elektroporation – Näheres zur Technologie dahinter
Jeder Prozess und jede Bindungskraft in unserem Körper basiert auf elektromagnetischen Interaktionen auf mikroskopischer Ebene. Hormone, Proteine, die Zellwände der DNA, usw. – sie alle werden zusammengehalten, verbunden und interagieren durch intelligent angeordnete Potenzialunterschiede kohlenstoffbasierter Moleküle. Es ist also nicht überraschend, dass externe elektrische Felder eine Vielzahl von Effekten auslösen können. Stark gepulste elektrische Felder beginnen, sich als äußerst potente Werkzeuge für die Interaktion mit unserer biologischen Matrix zu erweisen. Eine der Anwendungsmöglichkeiten ist die gewebeselektive Behandlung von Krebs.
Elektrische Felder stören Homöostase
Nicht-thermische, irreversible Elektroporation ist eine besondere Form der sogenannten gepulsten elektrischen Feldbehandlung. PEFs (engl. “pulsed electric field”, dt. gepulste elektrische Felder) bieten so hohe lokale Feldstärken, dass die Bindungskräfte der Zellwände zerbrechen und sich Nanometer große Poren bilden. Diese stören den eigentlichen Zweck des Zelldesigns, nämlich auf Aufrechterhalten des Gleichgewichtes in der Zelle (Homöostase). Normalerweise erholt sich die Zelle von diesen Störungen innerhalb von Minuten oder gar Sekunden. Überschreitet die Anzahl und Größe der Poren jedoch einen gewissen Schwellenwert, ist der Schaden zu schwerwiegend und wird irreversibel – daher der Begriff irreversible Elektroporation. Dennoch sind die Impulse kurz genug, um keine signifikante Erhitzung (abhängig von der Leitfähigkeit des Gewebes, der Anzahl von Impulsen und der volumetrischen Konfiguration) auszulösen. Daher der Begriff nicht-thermische irreversible Elektroporation (NT-IRE).
IRE in der Krebsbehandlung – von makroskopisch zu mikroskopisch und wieder zurück
Es gibt mehrere Methoden, mit denen sich die hohe elektrische Feldschwelle (mehrere hundert Volt pro Zentimeter) erreichen lässt, die für einen dauerhaften Zusammenbruch der Membran erforderlich ist. Im Laufe der Jahre wurden unterschiedliche Anwendungssysteme für unterschiedliche Zwecke entwickelt.
Die beiden am weitesten verbreiteten Systeme für den klinischen Einsatz, die die für IRE benötigten Parameter bereitstellen können, sind das NanoKnife IRE Ablationssystem und das IGEA Cliniporator System.
Nur NanoKnife hat jedoch die Zulassung speziell für IRE.
Abbildung 1: Die Werkzeuge für (irreversible) Elektroporation im klinischen Umfeld. A: NanoKnife ist das einzige medizinische Gerät, das für IRE zugelassen ist. B: Der Cliniporator Vitae bringt die technischen Voraussetzungen mit, um IRE durchzuführen. Entworfen wurde er jedoch für ECT (Elektrochemotherapie), die auf reversibler Elektroporation basiert. C: Sterile Elektrodenpaare werden in den krebsbefallenen Bereich eingebracht, normalerweise ohne Schnitte oder Operation (abhängig von der Art des Eingriffs). D: Elektrische Felder zwischen je zwei Elektroden bestimmen den Behandlungsbereich. Stärke und Länge der Impulse entscheiden darüber, ob es sich um eine reversible Elektroporation, eine nicht-thermische irreversible Elektroporation oder eine andere Art von Elektroporation handelt.
Die hohe lokale elektrische Feldstärke, die für IRE erforderlich ist, kann nie auf einen großen Bereich oder den ganzen Körper angewendet werden. Das genaue Behandlungsfeld muss lokalisierbar sein. Dabei ist es eine Wissenschaft für sich, den genauen Bereich festzulegen, der behandelt werden soll. Normalerweise übernehmen Radiologen, die auf diagnostische oder interventionelle Radiologie spezialisiert sind und langjährige Erfahrung auf dem Gebiet haben, diese Aufgabe. Sobald der Bereich festgelegt ist, werden die Elektroden in den karzinomatösen Bereich eingeführt.
Abbildung 2: Bildgebende Diagnostik ist das entscheidende Werkzeug bei der Behandlungsplanung.
A: eine fokale Prostatakrebs-Läsion
B: Computersimulation eines elektrischen Felds mit einem definierten Elektroden-Setup, das die vollständige Abdeckung des krebsbefallenden Bereichs sicherstellt.
Das Platzieren der Elektroden nimmt normalerweise die meiste Zeit in Anspruch. Die platzierten Elektroden selbst tun allerdings nichts, solange ein Mikroprozessor im Pulsgenerator (wie NanoKnife oder Cliniporator) nicht Potenzialunterschiede und Timing genau steuert.
Der Prozess selbst ist unglaublich einfach und gleichzeitig außerordentlich komplex: Eine Elektrode wird auf ein elektrisch positives Potential im Verhältnis zur Masse (Körper) gesetzt, die andere auf ein entsprechend negatives Potenzial. Tabelle 1 zeigt eine Liste von Parametern, die AngioDynamics, Hersteller von NanoKnife, empfiehlt. Dabei können selbst kleine Abweichungen eine Vielzahl von Mechanismen, von Elektrochemie bis Immunologie, beeinflussen.
Typische Spannung 3000 Volt (Anode +1500V, Kathode -1500V)
Typische Impulsdauer 90 Mikrosekunden
Typische Pulszahl 90
Typisches Intervall zwischen den Impulsen 1 Sekunde
Typischer Abstand zwischen den Elektroden 2 Zentimeter
Typische Expositionslänge der Elektroden 2 Zentimeter
Tabelle 1: Liste typischer Parameter für Irreversible Elektroporation im klinischen Gebrauch
Berechnung des Behandlungsfelds
Das Problem der lokalen Feldverteilung wird durch die Laplace-Gleichung beschrieben. Das Problem ist äußerst komplex. Zum einen ist eine Laplace-Gleichung nicht in allen Fällen intuitiv lösbar, besonders wenn eine Überlagerung mehrerer Sequenzen dabei zu berücksichtigen ist. Außerdem ist D (Vektor) keine Konstante. Gewebe weist eine inhomogene Konduktivität auf, was sowohl Zeit als auch Raum betrifft. Zudem beschreibt die Laplace-Gleichung den Prozess nicht vollständig. Zumindest die elektrochemischen und thermischen Effekte auf die Porenbildung (nächster Schritt) müssen berücksichtigt werden. Nur sehr leistungsstarke Computer können Annährungen berechnen.
Dies ist jedoch in der Praxis kein ernsthaftes Problem. Magnetresonanztomographie, Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und fokussierte Strahlentherapien weisen ähnliche mathematisch-physikalische Probleme auf, bei denen Lösungen nur annährungsweise ermittelt werden können. Sie zählen dennoch zu den wertvollsten Werkzeugen, die die Medizin zu bieten hat.
Bei der Elektroporation ist es ähnlich. Eine exakte Berechnung des Behandlungsfelds übersteigt unsere derzeit möglichen Rechenleistungen, ist aber gar nicht nötig, um IRE effizient einzusetzen. Es ist nicht möglich, Krebs mit einer Präzision im Mikrometerbereich zu behandeln. Viel wichtiger ist es, die damit verbundenen Effekte zu verstehen und zu wissen, welche Strukturen im Körper auf welche Art und Weise auf die verschiedenen Effekte, die IRE mit sich bringt, reagieren.
Abbildung 3: Starke lokale elektrische Felder und Strömungen lösen eine Fülle von Effekten im Körper aus, wie etwa RE (reversible Elektroporation), IRE (irreversible Elektroporation), Schäden durch Hitze und elektrochemische Effekte. Um die gewünschte Wirkung am richtigen Ort zu erreichen, ist eine feine Balance aus Feldstärke, Leifähigkeit und Timing erforderlich.
Abbildung 4: Computersimulation der elektrischen Feldverteilung in einem Standard-Elektroden-Setup. Rot zeigt ungefähr die Bereiche, in denen bei acht Impulsen IRE stattfinden würde. Der Farbverlauf ist das Gebiet, in dem man reversible Elektroporation erwarten würde und in dem damit die Möglichkeit gegeben wäre, eine Elektrochemotherapie oder Gentherapie durchzuführen. Obwohl das elektrische Feld der Hauptgrund für den Zelltod darstellt, treten mehrere gekoppelte physikalische und chemische Phänomene zeitgleich in den PEFs auf. Sie alle sind für das Behandlungsvolumen und den Behandlungseffekt relevant.
Sobald das lokale Feld einen Schwellenwert übersteigt, können die Phospholipidschichten, die die Zellmembran ausmachen, den von außen wirkenden Kräften durch das (I)RE-Feld nicht mehr standhalten. Diesen Prozess erklärt Abbildung 6 noch näher.
Abbildung 5 zeigt elektromikroskopische Bilder der Porenbildung. Die Homöostase ist verloren. Das gesamte evolutionäre Design der Zellen ist auf (selektive) Homöostase ausgerichtet. Der Zustand einer (vorübergehend) defekten Homöostase ist ein besonderer, aber auch ein instabiler Zustand. Währenddessen können eine Vielzahl von Molekülen in die Zelle eingebracht werden, die normalerweise kaum oder gar nicht dorthin gelangen würden. Eine Elektrochemotherapie mit den Chemotherapeutika Bleomycin oder Cisplatin ist nun möglich oder eine auf CRISPR basierte Gentherapie. Nach kurzer Zeit verschließen sich die Zellwände wieder – man spricht von einer reversiblen Elektroporation. Wird die Zellmembran jedoch zu stark gestört und kann sich nicht wieder reparieren, stirbt die Zelle ab. Dieses Phänomen ist die hier beschriebene irreversible Elektroporation.
Abbildung 5: Bilder aus dem Elektronenmikroskop, die die Poren in der Zelloberfläche zeigen. Der Durchmesser dieser Poren beträgt gewöhnlich mehrere hundert Nanometer (ein Nanometer = ein Millionstel Millimeter).
Abbildung 6: Die Phasen der Elektroporation. In einem neutralen Zustand erhält die Zelle ihre Homöostase durch ihre stabile Membran, die aus einer Phospholipid-Schicht besteht, hauptsächlich verbunden durch van-der-Waals-Kräfte. Zwischen den inneren und äußeren Zellen herrscht ein ausgeglichenes Transmembranpotenzial. Jetzt wird ein externes elektrisches Feld angelegt (PHASE 1) und das Transmembranpotenzial steigt zum Ende der Zelle gegenüber dem E-Feld-Vektor (linkes Bild). Abhängig von der Netzfeldstärke kann die Zellmembran dieser Kraft für eine kurze Zeit (Nanosekunden und wenige Mikrosekunden) widerstehen. [Molecular Dynamic Simulation Mitte (Seitenansicht) und rechtes Bild (Draufsicht).] Wenn das Feld, und damit die Wirkung, länger besteht (PHASE 2), beginnen sich in der Membran wasserdurchlässige Poren zu bilden. Bleibt das Feld für zig Mikrosekunden erhalten (PHASE 3), erreichen die Poren eine Größe, in der sie bestehen bleiben, auch wenn das externe Feld abgeschaltet wird. Abhängig von Größe und Anzahl der Poren spricht man nun von RE (reversible Elektroporation, die Zelle wird sich innerhalb von Sekunden oder Minuten wieder völlig erholen) oder IRE (irreversible Elektroporation, die Zelle wird absterben). Vielen Dank an Dr. Mounir Tarek, der diese Simulationen für uns erzeugt hat, und an die Zeitschrift “Spektrum der Wissenschaft”.
Many thanks to Dr. Mounir Tarek for generating these simulations for us, and to the magazine “Spektrum der Wissenschaft”.
Die Porenbildung geschieht in jeder einzelnen Zelle innerhalb dieses extremen externen elektrischen Felds. Es sterben aber nur die Zellen ab. Die Aminosäurestruktur “Kollagen”, die 25 bis 30 Prozent der Proteine in unserem Körper ausmacht, indem sie die sogenannte extrazelluläre Matrix bildet, bleibt, neben anderen Strukturen, unberührt. Nerven und große Blutgefäße bleiben erhalten oder können sich regenerieren, da ihre strukturelle Matrix nicht aufgelöst wird. Darin besteht der zentrale Unterschied zwischen IRE und anderen Ablationsverfahren.
Indem Infrastruktur, besonders Blutgefäße und Nerven, selektiv geschont werden, können diese Strukturen erstmals in das Behandlungsfeld aufgenommen werden, ohne dauerhaften Schaden zu nehmen. Abhängig von der Position des Krebsgewebes kann diese Selektivität den entscheidenden Unterschied zwischen schweren, dauerhaften Schäden (bei Prostatakrebs Inkontinenz und Impotenz) oder sogar zwischen Leben und Tod bedeuten, etwa wenn sich der Krebs in der Nähe großer Blutgefäße und lebensnotwendiger Strukturen befindet. Das ist beispielsweise bei Bauchspeicheldrüsenkrebs häufig der Fall. Zusätzlich kann die Penumbra um den Bereich der irreversiblen Elektroporation herum (vgl. Abb. 4, Regenbogenbereich) mit Verfahren, die auf der reversiblen Elektroporation beruhen, wie ECT, behandelt werden.
Abbildung 7: Ein Bereich der Prostata nach Ablation. Gefäßwand und Nervenstamm sind intakt. Rubinsky 2007.
In den folgenden Stunden, Tagen, Wochen und Monaten spielen sich mehrere unterschiedliche immunologische Mechanismen ab. Am wichtigsten: Die abgestorbenen Zellen ziehen Makrophagen an, die sie in einer der Apoptose ähnelnden Weise “auffressen”.
Lebende Krebszellen haben mehrere Versteckmechanismen, die es ihnen ermöglichen, entweder für das Immunsystem unsichtbar zu werden, die Abwehrmechanismen zu deaktivieren oder Barrieren gegen die Killerzellen aufzubauen. Nachdem einem von Krebs betroffenen Bereich irreversibler Schaden zugefügt wurde, sind all diese Mechanismen gestört.
Besonders die Oberfläche der Krebszellen ist meist geschädigt. Das macht einen wichtigen Unterschied aus, denn so können die Reinigungsmakrophagen sie “sehen” und systemische sowie tumorspezifische T-Killerzellen bilden. Dieser Mechanismus wird als Danger-Signal-Abwehrreaktion (Danger Signal = Gefahr-Signal) bei Krebs bezeichnet.
Immunreaktionen fallen unterschiedlich aus
Obwohl diese Reaktion für die Krebstherapie von größtem Interesse ist, ist noch nicht bekannt, wie diese Immunantwort so optimiert werden kann, dass sie jedes Mal eine signifikante Wirkung hat. Wie andere Teams von Ärzten und Wissenschaftlern auch haben wir beobachtet, dass diese Reaktion in manchen Fällen drastisch und dauerhaft erfolgt, wie in Abbildung 8. In anderen Fällen löst dieser Effekt jedoch kaum eine oder gar keine systemische Reaktion aus. Dendritische Zellinjektionen und modulierte Antikörper können den Effekt möglicherweise verstärken. Auch niedrig dosierte Cyclophosphamide zeigen eine vielversprechende Wirkung.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Reaktion stark vom Einzelfall abzuhängen scheint, was nicht überraschend ist: Die größten Unterschiede in unserem Genom zeigen sich beim Immunsystem. Außerdem kann Krebs ein recht vielfältiges genetisches Expressionprofil zeigen, sodass jeder Fall anders ist.
Gesundes Gewebe regeneriert sich
In den Wochen nach dem Eingriff werden die nekrotischen Bereiche vollständig entfernt. Abhängig von der Struktur bevölkern gesunde Zellen, wie glatte Muskelzellen, Endothelzellen und Axone, wieder die intakte zelluläre Matrix. Narbenbildung und Nebenwirkungen sind im Vergleich zu allen thermischen und strahlenbasierten Verfahren minimal.
Abbildung 8: Immunologische Reaktion, die sich nach der IRE-Behandlung positiv auf die Lymphknoten ausgewirkt hat.
Kombination von IRE (irreversible Elektroporation) und ECT (Elektrochemotherapie)
Wie Abbildung 4 zeigt, entsteht mit jedem IRE-Feld ein noch viel größeres RE-Feld. Die Sekunden und Minuten, in denen die Zellmembrane offen und die Zelle zugänglich ist, lassen sich nutzen, um eine große Bandbreite von Molekülen und Proteinstrukturen in die Zelle einzubringen. Dies wird jeden Tag in Laboren weltweit durchgeführt, etwa um Gene zu transferieren.
Wirkungsvolle Medikamente, die in die Zelle eingebracht werden können, sind Bleomycin und Cisplatin, beides etablierte Chemotherapeutika. Sie wirken bis zu 10.000 Mal effektiver, wenn die Zelle zuvor mit RE (reversible Elektroporation) behandelt wurde. Das Medikament muss nur einmal verabreicht werden. So entfallen praktisch alle Nebenwirkungen, die eine lange Chemotherapie mit sich bringt. Die Therapie wirkt aber nur lokal an den Stellen, die mit RE behandelt wurden. Dieses Verfahren wird darum als Elektrochemotherapie (ECT) bezeichnet.
Obwohl es offensichtlich erscheint, werden IRE und ECT nicht sehr häufig kombiniert angewendet. Das liegt möglicherweise daran, dass beide Methoden relative neu sind und auf verschiedenen Patenten beruhen, die unterschiedlichen Firmen gehören.
Effektivere Behandlung durch Kombination von IRE und ECT
Natürlich sind bei einer Kombination der Verfahren die Wirkungsbereiche größer, aber die Vorteile gehen noch darüber hinaus. Die Wirkeigenschaften von IRE und ECT ergänzen sich gut. Beide verfügen über ziemlich unterschiedliche Killer-Mechanismen. IRE führt zu einem verlässlichen und fast unmittelbaren Zelltod mit einer Selektivität, die auf Gewebearten beschränkt ist.
Auf Bleomycin basierende ECT ist zellselektiv (mitoseselektiv) und bekämpft die sich ständig teilenden Krebszellen besonders effektiv. Gleichzeitig werden Zellen, die sich gerade nicht in der Teilungsphase befinden, verschont. Eine Kombination der beiden Verfahren bietet also eine Behandlung mit großem Therapievolumen und einem Selektivitätsprofil, das es erlaubt, Bereiche miteinzubeziehen, die bei anderen Ablationsverfahren, Strahlentherapie und Operationen außen vor bleiben müssten.
Klinische Evidenz
Der Begriff der klinischen Evidenz wird von den Patienten häufig missverstanden. Er bedeutet, dass ein Verfahren oder ein Medikament einen nachgewiesenen Nutzen für einen bestimmten Zweck oder eine Erkrankung haben. Wenn Experten von niedriger oder fehlender klinischer Evidenz für eine bestimmte Maßnahme sprechen, bedeutet das nicht unbedingt, dass diese nicht wirksam ist. Normalerweise wird Wirksamkeit bereits ein Jahrzehnt zuvor anhand von Labormodellen bewiesen und ist in der Regel der Grund dafür, dass daraus ein Medizinprodukt entwickelt wurde.
Der Körper ist jedoch kompliziert und “wirksam” für ein bestimmtes Ziel (z.B. die Entfernung eines Tumors) ist nicht gleichbedeutend mit “vorteilhaft”, wobei “vorteilhaft” selbst schwer zu definieren ist.
In der Medizin gibt es dutzende Beispiele von Eingriffen, die effektiv durchgeführt werden und dennoch nicht unbedingt vorteilhaft für die Patienten sind. Viele dieser Verfahren finden sich sogar in den Leitlinien, die selbst im Durchschnitt zu weniger als zehn Prozent auf Evidenz der Klasse I basieren. Längst nicht jede gängige Praxis in der Medizin ist bewiesen. Berüchtigte Beispiele für Eingriffe, die kaum oder keinen nachgewiesenen Nutzen bringen, kennen wir etwa aus der Orthopädie, der Kardiologie, aber auch aus der Onkologie.
Ein viel diskutiertes Beispiel ist Prostatakrebs selbst: In vielen Leitlinien (zum Beispiel in Deutschland) wird die radikale Entfernung bei einem Gleason 6-Prostatakrebs mit niedrigem Risiko noch immer explizit empfohlen. Sie ist ohne Frage effektiv, denn die Prostata ist danach entfernt, mit den bekannten Nebenwirkungen. Die klinische Evidenz zeigt aber, dass der Patient dadurch nicht länger lebt.
Werfen wir einen zusammenfassenden Blick auf IRE:
Bei manchen Krebsarten ja, bei anderen nicht. Der Grund dafür ist einfach: Krebsarten, die schnell zum Tod führen, lassen sich statistisch leicht erfassen. Krebsarten wie Prostatakrebs, die sich langsam entwickeln, sind extrem kompliziert und multifaktoriell. Das prominenteste Ergebnis zeigten Martin et al. 2015 für lokal fortgeschrittenen Bauchspeicheldrüsenkrebs: Bestimmte Patienten, bei denen IRE in das Behandlungskonzept einbezogen wurde, um die Tumormasse zu reduzieren, hatten eine im Durchschnitt doppelt so lange Überlebenszeit wie Patienten, die mit der modernsten Chemotherapie plus Operation behandelt wurden. So etwas ist noch nie zuvor berichtet worden und stellt einen Meilenstein dar, sowohl für die Behandlung von Pankreaskrebs als auch für den Nachweis, dass IRE als Technologie zur Krebsbehandlung sehr effektiv sein kann.
IRE kann Prostatakrebsläsionen entfernen. Das lässt sich auf dem MRT nach einem Tag, spätestens nach einer Woche, in jedem Fall erkennen. Wenn der Patient es wünscht, lässt sich das auch durch eine Re-Biopsie nachweisen. Zudem haben wir selbst wie auch andere Institutionen Ergebnisse veröffentlicht, die Daten zu bis zu fünf Jahren Follow-up und “recurrence free survival” (Überleben ohne Rezidive, welches sich stark vom “Überlebensvorteil” unterscheidet) mit guten Ergebnissen umfassen. Aber: Bringt dies einen statistischen Überlebensvorteil (niedrigere prostatakrebsbedingte Sterblichkeit) mit sich, nach den Jahrzehnten, die es normalerweise dauert, bis Prostatakrebs zum Tod führt? Das lässt sich naturgemäß erst nach langer Zeit und groß angelegten Studien feststellen.
Und selbst das wird nicht viel über IRE als Ablationsverfahren aussagen, denn die Unterschiede bei jedem einzelnen Schritt auf dem Weg sind groß: Patientenauswahl, Qualität der diagnostischen Aufarbeitung, Behandlungsplanung, Pulssequenz, Sondenplatzierung, Fähigkeiten des behandelnden Arztes, Tumor Margin-Planung, Follow-up-Intervalle und -Qualität, Mitarbeit der Patienten (Compliance), erneute Behandlung, Kombination von Behandlungsverfahren (ADT, Immuntherapien, sogar Änderungen in Ernährung und Lebensweise) und so weiter. Für praktische jede Zusammensetzung dieser Faktoren wäre eine groß angelegte, mindestens 10 Jahre andauernde Studie erforderlich, um zu beweisen, welche die beste ist. Mit IRE als Ablationsverfahren hat nur sehr wenig davon etwas zu tun. Entsprechende Studien werden die Teilnahme von Millionen von Patienten erfordern.
Teilweise ja, teilweise nein. Darüber wird fortlaufend diskutiert, doch lässt sich diese Debatte hier nicht vollständig abbilden. Wenn man sich für eine experimentelle Methode entscheidet, ist es am wichtigsten, einen guten Arzt zu haben, der multimodale Follow-Ups durchführt und Sie über die Jahrzehnte genau überwacht und betreut. Bei der Behandlung von Prostatakrebs mit IRE ist unsere Erfahrung weltweit unübertroffen, sowohl was IRE als auch die Krebsdiagnostik mittels MRT betrifft.
Auch hier gilt: teilweise ja, teilweise nein. Diese Behandlungsmethoden sind Jahrzehnte alt und mittlerweile wurden Millionen von Patienten so behandelt. Darum wurden viele Kombinationen ausprobiert. Der Erfolg und die Qualität der Belege sind allerdings umstritten.
Doch auch diese Verfahren werden stets weiterentwickelt, zum Beispiel mit roboterassistierten Operationen und besser fokussierten Strahlenbündeln. Um den Anforderungen der evidenzbasierten Medizin zu genügen, müsste man für jede einzelne Veränderung den Überlebensvorteil nachweisen. In vielen Fällen wäre das nicht sinnvoll. Es gibt immer und es muss immer eine Balance zwischen strengen Anforderungen an Beweise und Fakten aus der Biologie und Physik sowie Logik und deduktiven Argumenten geben, um zu vermeiden, dass Patienten jahrzehntelang auf neu entwickelte, bessere Behandlungsverfahren warten müssen, obwohl sie sie jetzt brauchen.
Hier lautet die Antwort der Medizin gewöhnlich: Das kommt darauf an. Es hängt davon ab, welchen Grad und welches Stadium der Krebs hat und was die Patienten von der Behandlung erwarten. Der Überlebensvorteil liegt in den meisten Fällen irgendwo zwischen 0 und 30 Prozent, um die Zahlen extrem zu vereinfachen. Die Nebenwirkungen sind bekannt.
Kontaktieren Sie uns, um eine genauere Analyse des Überlebensvorteils in Ihrem persönlichen Fall zu erhalten.
Der vielleicht wichtigste Punkt ist, wie sich ein Patient dabei fühlt. Fühlen Sie sich wohl dabei, eine Behandlung zu bekommen, die unserer Erfahrung nach medizinisch sicher ist und wahrscheinlich bessere Ergebnisse erzielt als andere Behandlungsmethoden, die aber für Ihre spezielle Erkrankung keine evidenzbasierten Ergebnisse vorweisen kann und nur einige Jahre Follow-ups mit guten Ergebnissen aufzeigt?
Wir bemühen uns, unsere Bibliographie so aktuell wie möglich zu halten. Darin finden Sie auch wissenschaftliche Publikationen zu IRE. Für die Suche nach der neuesten Wissenschaftsliteratur empfehlen wir auch scholar.google.com